Wulf Rössler, emeritierter Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich, Nachdruck aus NZZ am Sonntag vom 8.5.2016

Mehrere Städte planen Tests mit Cannabis-Abgabe. Damit eröffnet man Jugendlichen den Zugang zu einer verhängnisvollen Droge.

Die Diskussion um Cannabis kommt so wie die Jahreszeiten. Das Volk sagt Nein, wenn es um die Legalisierung von Cannabis geht, zuletzt 2008, und genauso versuchen diverse Gruppen immer wieder, das Votum zu umgehen.

Pro oder contra ist nicht unbedingt eine Frage der politischen Orientierung, wenn auch Linke eher dafür und Rechte eher dagegen sind. Da bringen es linke Sozialwissenschaftler sogar über die Lippen, dass man mit einer Legalisierung Geld sparen könne, sonst nicht eines ihrer Kernanliegen. Vom Freisinn bis ganz rechts wird die persönliche Freiheit betont, wonach sich jeder ruinieren dürfe, wie er wolle. Und natürlich könnten wir so den Drogenhandel austrocknen und der Staat noch daran verdienen, so wie beim Alkohol oder Tabak. Und zuletzt: Schweizer Bauern wittern ein neues Geschäftsfeld. Wer will da vernünftigerweise noch dagegen sein - ausser vielleicht das Volk.

Was steht an? Aus Genf kam die Idee, Cannabis-Klubs einzurichten. Der legale Rahmen sollten Pilotversuche sein, wie sie das Betäubungsmittelgesetz vorsieht. Ausnahmsweise kam vom Bundesamt für Gesundheit ein klares Nein, weil unvereinbar mit dem Gesetz. Aber jetzt versucht sich Bundesrat Alain Berset an der Quadratur des Kreises: keine Legalisierung, trotzdem ein Modellversuch - und das Bundesamt wird ihm nolens volens zustimmen. Aber Modellversuche enden dort, wo sie immer enden, nämlich: Sie bestätigen, was man vorher wollte.

Bern denkt über die Apothekenabgabe nach, Basel will Cannabis aus medizinischen Gründen abgeben, und Zürich will Cannabis an straffällige, bereits abhängige und psychisch kranke junge Menschen abgeben - auch an Minderjährige! Ziel in Zürich seien die Schadensminderung und die Prävention.

Die Cannabiskonsumenten sind aber keine Heroinabhängige, die alte Frauen überfallen, um ihren Stoff zu finanzieren. Sie brauchen keine sauberen Spritzen und müssen sich nicht prostituieren. Prävention heisst, dem Konsum vorbeugen und nicht, ihn zu ermöglichen, um dann die Konsumenten mit guten Worten wieder davon abzubringen.

Cannabis ist die weltweit häufigste illegale Freizeitdroge. Sie ist nicht wahnsinnig gefährlich, aber birgt neben einer Reihe von Risiken beträchtliches Potenzial, bei entsprechender Anfälligkeit psychische Erkrankungen auszulösen oder vorbestehende psychische Erkrankungen zu verschlimmern. Das gilt insbesondere für das jugendliche Gehirn in einer sensiblen Phase seiner Entwicklung mit häufig lebenslangen Folgen und entsprechenden Folgekosten für die Solidargemeinschaft. Die medizinisch begründete Abgabe etwa bei Multipler Sklerose oder chronischen Schmerzen ist ein ganz anderer Fall.

In der Prävention wissen wir recht genau: Was hilft und keine übermässigen Kosten auslöst, ist: nicht kriminalisieren, aber den Zugang erschweren, so wie wir das beim legalen Alkoholverkauf seit vielen Jahren fordern. Suchtmittel müssen nicht an jeder Ecke quasi kostenlos verfügbar sein. Dass Verbote täglich zu Tausenden gebrochen werden, kann kein ernsthaftes Argument dafür sein, all diese Verbote aufzuheben.

Beim Tabak hat der Wind gedreht, und genau dieses Prinzip der Zugangserschwerung wurde umgesetzt. Die Zugangserleichterung hingegen, die jetzt mit Cannabis geplant ist, eröffnet  zuvorderst unzähligen Jugendlichen den Neueinstieg in eine verhängnisvolle Droge.

Ein Kollege hat einmal anlässlich eines Vortrags gefragt, wer für die Legalisierung von Cannabis sei. Mehr als die Hälfte der Anwesenden haben den Arm gehoben. Nächste Frage: Wer befürwortet Cannabiskonsum für seine eigenen Kinder? Da waren es nur noch ganz wenige. Vergessen Sie nicht: Es geht auch immer um Ihre Kinder!